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AutorenbildTanja Alexa Holzer

2/24: Die Höhenangst des Grashüpfers

Meine Reizwortstory zur Aufgabe 2-24 vom 10. Januar aus meinem Mitmachbuch «Lanzarote! Schreib mich! Wenn du kannst.»



Ein zartgliedriger, sehr alter Grashüpfer stand vor der Aufgabe seines Lebens. Eines Morgens hockte er mit seinen Enkelhüpfern vor einer tiefen Schlucht, in der weit unten ein reissender Fluss toste. Über den Abgrund war ein uraltes Seil gespannt.  

«Wie lange das wohl schon hier hing?», fragte sich der Grashüpfer-Opa besorgt. Es war bereits ziemlich grün geworden und schien ihm spröde. «Oje, oje», jammerte der Alte, «bestimmt werde ich in die Tiefe stürzen und erbärmlich ertrinken! Ich kann doch nicht schwimmen …»

Er seufzte tief. Ja, er hatte nicht nur Angst vor dem Ertrinken, sondern genauso vor der Blamage und, das Schlimmste überhaupt, er hatte erdrückende Höhenangst. Nun war er bereits 5,5 Monate alt und war noch nie in seinem Leben wirklich grossartig gehüpft! Er tat immer nur kleine Sprünge, da die grossen ihn einfach zu sehr ängstigten.

Wer jetzt denkt, ich hätte mich verschrieben … nein, dieser Opa war tatsächlich 5,5 Monate alt. Grashüpfer haben doch eine durchschnittliche Lebensspanne von nur 6 Monaten.

Die Enkelhüpfer spornten ihn an: «Los, Opa, spring! Du schaffst das! Einfach Hüpfer um Hüpfer über das Seil. Es ist doch gar nicht weit!»

Ja, jetzt war es an der Zeit, sich seiner Höhenangst mutig zu stellen. Er neigte sein schmales Köpflein und betrachtete das Seil intensiv. «Wie könnte ich Vertrauen gewinnen?», dachte er eindringlich nach. Die Anfeuerungsrufe seiner Enkelhüpfer verblassten, sein Fokus richtete sich messerscharf auf das Seil und diese wichtige Vertrauensfrage. Eine stille Ruhe dehnte sich in seinem Köpflein aus. Er sah nur noch dieses Seil und hörte sein Herzlein pochen.

Da tauchte unverhofft ein Bild in seinen Gedanken auf. Er sah, wie sich vor ihm eine weite Fläche ausbreitete, wie wenn von Geisterhand direkt unter dem Seil ein Bettlaken gezogen werden würde. Von einer Abgrundkante zur anderen spannte sich diese weisse, weiche Fläche. Und er hörte eine Stimme – weiss der Geier, woher die kam –, die flüsterte: «Stell dir vor, wie dieses Seil einfach harmlos auf einem glatten Fussboden liegen würde. Hättest du dann Angst, darüber zu hüpfen? Nein! Du würdest das locker wagen und freudig darüber springen, nicht wahr? Das Seil bleibt das gleiche, egal wo es ist. Ob es liegt oder hängt ist einerlei.»

Hmmmmm, total logisch, nicht wahr? Jetzt hüpfte der Grashüpfer-Opa los. So harmlos, wie das Seil auf dieser weiten Fläche lag, hatte er nichts mehr zu befürchten! Drei Augenblicke später erreichte er bereits die andere Seite. Nichts Schlimmes war geschehen. Das Bild verblasste, die weisse Fläche rollte sich einfach wieder unter dem Seil weg. Der Opa sah und hörte plötzlich wieder den tosenden Fluss und seine begeisterten Enkelhüpfer.

«Es ist alles eine Frage der Perspektive», erkannte der Grashüpfer-Opa. Mit etwas Wehmut flammten in ihm all die verpassten Abenteuer auf, die er wegen seiner Höhenangst nicht gewagt hatte. So entschloss er sich, einfach erneut über das Seil zu hüpfen. Dieses Mal mit weiteren und vor allem freudigeren Sprüngen.

Mit seiner Erkenntnis hatte der Grashüpfer-Opa natürlich vollkommen recht, oder? Dasselbe gilt doch auch für uns. Dieser tosende Fluss wäre für uns Menschen ein lächerliches Rinnsal, ein Überbleibsel des letzten Regens, und das grüne Seil ein dünner Faden, der aus irgendeinem menschlichen Kleidungsstück entwischt war. Hätten wir etwa Angst davor? Lächerlich.

 

Diese Geschichte schrieb ich anhand der fünf vorgegebenen Wörter: grün, Seil, Fläche, schwimmen, alt


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Sonnige Grüsse

Tanja alias Wortfeger


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Hier erzähle ich die Geschichte in Schweizer Mundart:





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